nr. 3071

Grunddaten

Adressat Wieser, Heinrich
Dokumenten-TypBrief
Brief-Nummer3071
Schreibdatum1832-12-22
SchreibortAmsterdam
Empfangsort[Bonn]
Incipit
Amsterdam 22 Dec. 1832. Lieber Wieser! Durch Adolph Rocholl höre ich einentheils, daß er Dir meine jüngsten Zeilen bei Deiner Anwesenheit in Soest übergeben hat, und anderntheils, daß Du nicht wieder nach Greifswald, sondern nach Bonn gegangen, u. mir also jetzt bedeutend näher bist, als vor einigen Monaten.
StandortDetmold
Institution Lippische Landesbibliothek

Art- und Formuntersatz

DokumentformO-Hs.
Vollständigkeitvollst.
ÜberlieferungsformHs.
BestandFreiligrath Sammlung
SignaturFr. S 454

Zeugenbeschreibung

Umfang1 Bl., gef., 4 Sn. beschr. mit brauner Tinte; Briefumschlag, aber nicht zu diesem Brief gehörend an Heinrich Wieser mit Adresse, 3 Poststempeln (1. März), u. Firmenstempel (Jacob Sigrist)
Größe21,8 x 25,9
Papiersorteweiß-gelblich, fein-stumpf; S. 1/2 quer am äußeren Rand Wasserzeichen: JW HATMAN
Erhaltunggut

Regest

F. F. berichtet dem Freund und Studenten Heinrich Wieser von seinem Leben seit ihrer letzten Begegnung im Mai 1831 in Arnsberg und stellt fest, daß sein Leben sowohl in der letzten Zeit in Soest als auch jetzt in Amsterdam in recht einförmiger Weise dahingeflossen ist. Im Vergleich hatte es F. F. in Soest sogar besser, da er sich dort im Familienkreise viel besser dem Studium seiner Lieblingsfächer hingeben konnte als hier in Amsterdam, wo er acht bis zehn Stunden täglich ans Firmenpult gefesselt ist und die Zeit mit stumpfsinnigen Schreibarbeiten verbringen muß. F. F. wohnt hier im Zentrum von Amsterdam zusammen mit einem Kollegen aus Heilbronn auf einem Zimmer und muß trotzdem 264,- Gulden im Jahr Miete bezahlen. Das prächtige und laute Amsterdam bietet zwar viele Möglichkeiten zu Vergnügungen aller Art, doch fehlt F. F. weitgehend der Sinn dafür wie vor allem das dazu nötige Geld. So beschränken sich seine Erlebnisse auf gelegentliche Einladungen zu Diners und den darauffolgenden Anstandsbesuchen. Die steif-etikettenhafte Athmosphäre im Hause seines Prinzipals Franck stößt ihn auch eher ab. Gegend um Amsterdam ist eher kühl und miserabel, so daß man, um Natur zu erleben, meist bis hinter Harlem fahren muß. Am meisten hält sich F. F. bei solchen Touren noch an dem immer wieder beeindruckenden Meer auf. Die Poesie hat F. F. zwar noch nicht ganz aufgegeben, und er hat auch einige Ermunterung dazu u. a. von Christian Dietrich Grabbe und Elise von Hohenhausen erhalten, aber er glaubt eher, daß er das Dichten wohl wieder aufgeben wird, da es sich einfach nicht mit einer bürgerlichen Existenz verträgt, wie er an Aussprüchen von Adam Gottlob Oehlenschläger und E. T. A. Hoffmann zu belegen versucht. Das nach innen gekehrte, stille Poetenleben kommt einem hier in der Geschäftigkeit der Großstadt und der erlrebten Weltenferne ärmlich und kümmerlich vor. Doch F. F. wird immer wieder auch stark zur Dichtung hingezogen, so daß er oft am Leben irre zu werden droht. Ideal und Leben sind einfach zu weit auseinander für ihn. F. F. verzichtet auf einen Austausch über Politik an dieser Stelle und bemerkt nur, daß hier alle enthusiasmiert sind, auch wenn es nach außen hin ganz friedlich aussieht. Er rechnet aber bald mit einer Mobilisierung des Landsturms, zu dem auch er gezogen werden könnte. Klage darüber, daß F. F. zwar genügend Bekannte, aber keine Freunde habe. Erkundigung nach einigen gemeinsamen Bekannten.