Dank für die Übersendung der Brille von Karl Freiligrath zur Erinnerung an den toten Bruder. F. F. hat selbst an den Osterfeiertagen, die hier kein Feiertag sind, und an seinem Geburtstag arbeiten müssen. Erkundigung nach dem Befinden von näheren und weiteren Verwandten. F. F. geht auf den Umstand ein, daß die Familie in Soest für längere Zeit die Korrespondenz zu ihm wegen der Veröffentlichung seines revolutionären Gedichtbandes 'Ca ira!' unterbrochen hat. F. F. erläutert, daß er sich zum revolutionären Prinzip in der Geschichte bekenne, zwar nicht als deren Zweck, aber doch als ein legitimes Mittel, um der Freiheit gegen die Tyrannei und die Unfreiheit zum Siege zu verhelfen. Es scheint ihm vor allem deshalb berechtigt, weil es einen besseren Gesellschaftszustand herbeiführen kann und weil die gegenwärtigen Machthaber einen ebenso gewaltsamen Druck gegen das Volk ausüben und dabei vor nichts zurückschrecken. Revolutionen gehören zum Entwicklungsgestz der Geschichte. Wenn Blut dabei fließt, so wäre es eine Notwendigkeit, auch wenn erst spätere Generationen die Früchte davon ernten sollten. Das beste Beispiel dafür ist die Große Französische Revolution, die trotz aller Greueltaten einen Fortschritt für die Menschheit gebracht hat, z. B. die Abschaffung des Verkaufs von eigenen Untertanen durch die europäischen Potentaten. Der reformatorische Weg führt jedenfalls zu keinen wirklichen Veränderungen, wie es gerade die jüngsten politischen Entwicklungen in Preußen zeigen. F. F.'s Gedichte atmen ja gerade auch jenen Zug hin zu einer besseren, menschlicheren Zukunft. F. F. zeigt sich schon etwas verwundert, daß die Famile sich durch die Gedichte so abgestoßen und verletzt gefühlt hat, daß man gar nicht mehr mit F. F. reden wollte. Er kann nicht verstehen, daß eine politische Meinungsverschiedenheit eine Geschwister- und Elternliebe einfach zerstören können soll und daß man nicht begreifen will, daß F. F. mittlerweile auch zu einer öffentlichen Person geworden ist. Die Hoffnung der Familie, daß F. F. niemals wieder solche Äußerungen tun werde, kann er natürlich nicht erfüllen, da es sich hierbei um lange und schwer errungene Überzeugungen handelt, für die F. F. mit seiner Exilierung und anderen Nachstellungen einen hohen Preis bezahlt hat, als daß er das jetzt erworbene hohe Gut der Redefreiheit einfach wieder aufgeben könnte. Ob F. F. allerdings sobald wieder einmal politische Gedichte schreiben wird, ist fraglich, da er mit den letzten schon bis ans Äußerste gegangen ist und auch Ultimaten gestellt hat. Weiter kann er schon gar nicht mehr gehen. Erst wenn ein neues, außergwöhnliches Ereignis ihn herausforderte, würde er natürlich seine Stimme auch wieder erheben, aber das steht vorläufig nicht zu erwarten. F. F. macht den Vorschlag, um Mißverständnisse vielleicht etwas ausräumen zu können und sich auch persönlich wieder näher zu kommen, daß Karoline Freiligrath F. F. hier in London für einige Monate besucht. F. F. würde auch die Reisekosten übernehmen und schlägt den September für den Besuchsbeginn vor. Dann könnte Karoline auch an der bevorstehenden Kindtaufe des erwarteten Nachwuchses teilnehmen. Karoline könnte dann sehen, daß F. F. ganz ruhig und bürgerlich lebt und nicht so grimmig ist, wie man es sich wohl in Soest vorstellt. Mit religiösen oder politischen Debatten wird sie sicher nicht belästigt werden. |